Rund um den Namen
Drei Jahre war der Chor alt, als man endlich zur „Taufe“ schritt. Fräulein Caroline Juillard, Sopranistin der ersten Stunde und erste „vereinseigene“ Solistin, soll den Namen Cäcilien-Verein vorgeschlagen haben. Er fand begeisterte Zustimmung.
Man kann heute nur darüber rätseln, warum der Chor, der im Bewußtsein der Musikwelt als Singakademie galt, die er auf Grund seiner Entstehung auch war, sich nicht einfach so nannte, wie man das entsprechend eta in Leipzig getan hatte. Vielleicht verbot das berühmte Frankfurter Unabhängigkeitsbedürfnis eine allzu nahe Anlehnung an das Berliner Vorbild. Man wollte wohl etwas Persönlicheres. Doch Schelble als Namensgeber – wie Dreissig in Dresden oder später Rühl in Frankfurt – das hätte nicht ins Bild der Persönlichkeit des Chorgründers gepaßt, dem immer die Sache vorging. Die Wahl fiel also auf die Schutzpatronin der Musik.
Unterbewußt können dabei sehr wohl Gefühle der Dankbarkeit oder auch Schuld, der Verehrung oder auch das Verlangen nach Wiedergutmachung mitgeschwungen haben. Schelbles beste Mannschaft bestand ja aus „Abtrünnigen“ des Düringschen Gesangvereins, der alljährlich am Cäcilien-Tage, dem 22. November, eine Aufführung veranstaltete. Nun hatte Schelble kurz nach dem ersten Konzert seines jungen Chores im Oktober, ebenfalls am Cäcilientage 1818 eine Aufführung herausgebracht. Mochte es auch die von ihm zum Cäcilientage selbst komponierte Kantate „Laßt uns im lieblichen Wallen der Töne… “ gewesen sein – die Kollision der Termine läßt etwas Pietät vermissen. Von weiteren „Zusammenstößen“ am Gedenktag der Heiligen ist aber glücklicheweise nichts bekannt.
Ein zeichnerisch Begabter hat die namensgebende Chorversammlung im Bilde festgehalten. Es ist noch in einer Kopie erhalten. 1885 vermachte sie der Sohn Caroline Juillards, Heinrich Hahn, dem Historischen Museum. Er war Sproß einer der ersten Chorehen. Sein Vater Christian Hahn sang schon in Schelbles erster Probe Tenor und war darüber hinaus Lehrer an Frankfurts modernster Schule, der 1804 nach Pestalozzis pädagogischen Grundsätzen gegründeten Musterschule – als Schule mit lebenden Fremdsprachen die progressive Alternative zum altsprachlichen Gymnasium.
Eine Fotografie der Zeichnung ist im zweiten Weltkrieg verlorengegangen. Der Cäcilien-Verein bekam sie von Georg von Heyder geschenkt, einem Enkel aus der ersten Ehe des Herrn von Saint George, den die verwitwete Molly Schelble in zweiter Ehe heiratete.
Das Bild trägt den Titel „Die neue Disputa“, in Anlehnung an die berühmte „Disputa“ des Raffael in den Stanzen des Vatikans, jene Verherrlichung der kämpfenden und triumphierenden Kirche mit dem Geheimnis der Eucharistie im Mittelpunkt. Unsere Zeichnung setzt an die Stelle der Kirchenväter und Heiligen eine liebevoll portraitierte biedermeierlich-bürgerliche Chorgesellschaft mit Schelble in der Mitte. Dessen Braut Molly wird gar mit Engelsflügeln dargestellt, während Goethes Freundin Marianne von Willemer sehr unsuleikahaft den Arm zur Wortmeldung in die Höhe reckt. Im Hintergrund zeichnen sich die Umrisse der Stadt Frankfurt und einer Frankonofurtia mit Stadtwappen und Füllhorn ab. Über dem Ganzen lauschen Händel, Gluck, Beethoven, Mozart und Haydn auf einer von Engeln getragenen Wolke interessiert der Diskussion zu ihren Füßen. In ihrer Mitte schwebt, von zwei Engeln mit Psalter und Harfe eingerahmt, eine vollschlanke Heilige Cäcilie, über deren Aura vier weitere Engel singen.
Als Autor des Kunstwerks oder - besser - Kunstscherzes gilt Moritz August Bethmann-Hollweg, Bruder einer gepriesenen Frankfurter Schönheit, der frühverstorbenen ersten Frau von Saint George, Molly Schelbles Vorgängerin. Bethmann-Hollweg war schon bald nach der Gründung zum Cäcilien-Verein gestoßen, hatte ihn jedoch schon 1820 aufgeben müssen, um einem Ruf nach Berlin Folge zu leisten. Marianne von Willemer lieh der allgemeinen Trauer um den Verlust des „schönsten, tiefsten Klangs“ in einem siebenstrophigen Abschiedscarmen Worte. Bethmann-Hollwegs warmer Baß bereicherte fortan die Singakademie in Berlin. Er selbst wurde später Preußischer Kulutsminister und Vertrauter König Friedrich Wilhelms IV., der ihn 1840 in den Adelsstand erhob.
Eva Zander, 1993